Mein erster Jane’s Walk
Wie es dazu kam, dass Jane’s Walk nach Wien kam – ein Beitrag von City Organizer Andreas Lindinger
Ende März 2012 begann für mich ein einjähriges Abenteuer im schönen Vancouver, BC, Kanada, wo wir bald nach unserer Ankunft eine Wohnung im tollen Stadtteil West End fanden. Fünf Wochen später ermöglichten mir die Jane’s Walks, meine neue Nachbarschaft, deren Geschichte und vieldiskutierte Themen kennenzulernen.
Doch nicht nur für Neuankömmlinge in einer Stadt oder einem Stadtteil sind Jane’s Walks eine Chance, ihren Stadtteil zu erkunden, Neues zu erfahren und andere BewohnerInnen kennenzulernen. Auch für Alteingesessene ergeben sich neue Blickwinkel auf ihren Stadtteil, neue Antworten auf brisante Fragen und viele Möglichkeiten für spannende Gespräche und neue Kontakte.
In einem Blogpost habe ich damals meine Eindrücke meines ersten Jane’s Walks im West End von Vancouver samt einigen allgemeinen Informationen über Jane’s Walks zusammengefasst. Ein Blick zurück zeigt wie die in 2012 diskutierten Themen wie leistbares Wohnen, Verlust von Grünraum oder Verkehrsberuhigung nicht nur auch 2 Jahre später in Vancouver noch brisant sind, sondern angesichts ähnlicher Probleme in vielen Städten weltweit eine thematische Verbindung zu anderen Jane’s Walk Orten wie Wien herstellen.
Hier mein damaliger Blogpost zum Nachlesen:
Spazierend die Stadt erkunden und verändern!
Seit fünf Jahren treffen sich jedes Jahr am ersten Maiwochenende tausende Menschen um in Erinnerung an die urbane Denkerin, Aktivistin und Schriftstellerin Jane Jacobs bei einem Spaziergang ihren Stadtteil zu erkunden. Ausgehend von Toronto über ganz Nordamerika hat sich das Phänomen Jane’s Walk mittlerweile auf die ganze Welt verbreitet, mit mehr als 600 Spaziergängen in 85 Städten in 19 Ländern in diesem Jahr.
Bei den von Freiwilligen initiierten Jane’s Walks geht es darum, sich gemeinsam mit seinem Stadtteil und dessen Geschichte, Architektur, Entwicklung oder anderen (persönlichen) Zugängen auseinanderzusetzen. Im Sinne der Namensgeberin Jane Jacobs sollen BürgerInnen selbst bei der Gestaltung ihrer Umgebung aktiv werden und sich von Detailfragen wie beispielsweise in der Parkgestaltung bis hin zum großen Ganzen im Stadtteilentwicklungsprozess Gedanken machen. Denn wer, wenn nicht die BewohnerInnen selbst, wissen, welche Herausforderungen es in ihrer Nachbarschaft gibt und in welcher Umgebung sie leben wollen.
Allein in Vancouver gab es an diesem Wochenende 26 Spaziergänge, auch in unserem Stadtteil, dem West End von Vancouver, wurde ein Jane’s Walk mit dem Titel “Home: An Exploration of What Makes the West End Unique” angeboten. Dabei standen der vor kurzem gestartete West End Community Plan und damit zusammenhängende Fragen der Stadtteilentwicklung im Vordergrund. Schnell zeigte sich, dass sich viele der brennendsten Themen, die die StadtplanerInnen und EinwohnerInnen beschäftigen, sich nicht von jenen in Wien, Linz, Graz oder anderswo unterscheiden.
Wie schaffen wir es, Städte nicht um Autos sondern um Menschen zu entwickeln? Wie können wir die Dichte der Städte erhöhen und die Wege verkürzen? Wie können wir Nachhaltigkeit, nicht nur im Bereich der Mobilität, zum zentralen Element urbaner Entwicklung machen? Was macht einen Stadtteil eigentlich aus und wie kann wie im Falle des West Ends beispielsweise die für den Stadtteil charakteristische Diversität der BewohnerInnen sichergestellt werden?
Und eine der wohl drängendsten Fragen angesichts des Zuzugs der (jungen) Menschen in die Städte: Wie können wir leistbaren Wohnraum in der Stadt sicherstellen, insbesondere in einer Gegend wie dem West End Vancouvers, das in den vergangenen Jahren einen exorbitanten Anstieg von Mieten und Kaufpreisen sah? Wie können dabei Fälle von “Renoviction”, einer Wortschöpfung aus “Renovation” und “Eviction”, verhindert werden? Bei einer “Renoviction” werden aufgrund der hohen Nachfrage nach (teuren) Wohnungen langjährige MieterInnen aus ihren Wohnungen geworfen, um diese zu renovieren und zu deutlich teureren Mietkonditionen zu vermieten, die sich die vorigen MieterInnen nicht leisten können.
Die in die Höhe gewachsene Downtown um die Ecke, wird beispielsweise auch heiß diskutiert, wie sich ein neues geplantes 22stöckiges Hochhaus in seine Umgebung einfügt und was dieses in Bezug auf die Verkehrsbelastung bedeutet wenn an seiner Stelle zuvor eine Kirche mit frei begehbarer Grünfläche stand, rundherum vergleichsweise niedrige Einfamilien- und Wohnhäuser sind und nebenan eigentlich eine verkehrsberuhigte Straße (“Greenway”) geplant ist. Welche Veränderungen für eine Nachbarschaft bringt also allein ein neues Gebäude?
Fragen über Fragen, auf die uns beim Jane’s Walk auch Antworten gezeigt wurden. Von “Pocket Gardens”, die als kleine Mini-Parks zwischen zwei Straßen zum Treffen, Gestalten und Verweilen einladen, bis hin zu “Community Gardens”, die aus den grauen Parkplatz-zentrierten Seitengassen eine grüne Oase samt Garten, Sitzmöglichkeiten und Wohlfühlatmosphäre zwischen den Häusern gemacht haben. Und das Ganze im Community Garden auf obigem Foto beispielsweise sogar ohne städtischer Förderung, sondern nur auf Initiative und mit Freiwilligenarbeit der dortigen BewohnerInnen!
Fragen über Fragen, auf die sich Antworten jedenfalls am besten in gemeinsamen Gesprächen finden lassen, beispielsweise bei Spaziergängen. Bereits im Jahr 1957 schrieb Jane Jacobs dazu Folgendes: “No one can find what will work for our cities by looking at (…) suburban garden cities, manipulating scale models, or inventing dream cities. You’ve got to get out and walk.”
Die Jane’s Walks beweisen nicht nur, dass sie damit Recht behalten sollte. Sie zeigen auch wie eine Vision (“Walkable neighbourhoods, urban literacy, cities planned for and by people”), bei der die Partizipation der Menschen in der Gestaltung und Entwicklung ihres Stadtteils im Mittelpunkt steht, von vielen Menschen in kürzester Zeit in die weite Welt getragen werden kann! Vielleicht schon nächstes Jahr auch in deiner Stadt?!